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Die Ära Tivoli

83 Jahre Hexenkessel

Bis zum Mai 2009 war es für abertausende Anhänger der Schwarz-Gelben vollkommen das Nämliche, jedes zweite Wochenende den Stammplatz im Aachener Tivoli einzunehmen. Wenn die Mannschaften am frühen Vormittag eines Sonntages durch den engen Spielertunnel hindurch den Rasen betraten, wurde aus dem scheinbar kleinen, unspektakulären Stadion ein richtiger Hexenkessel. 
Am alten Tivoli fand sich die Ganze Alemanniafamilie zusammen. Der Opa, der noch aus der Oberligazeit stammt, zusammen mit dem Sohnemann, der jedoch die drei höchsten Ligen im deutschen Profifußball auch schon auf dem Puckel hat, und an seiner Hand die wieder nächste Generation führte. Der Tivoli war für viele Alemannenfans also so etwas wie ein zweites zu Hause geworden. Und wie das mit dem Eigenheim so ist, wird dieses auch einmal gewechselt. Am 17. September 2007 wurde das neue Stadion der Alemannia erstmals präsentiert. Mitte 2008 begannen die Bauarbeiten, zur Saison 2009/2010 wurde das erste Heimspiel im neuen Kasten ausgetragen. Doch was ließ man nur wenige Meter neben der neuen Arbeitsstätte der Schwarz-Gelben jetzt überhaupt zurück? 

 Der alte Tivoli hat schon so manche Meisterschaftsspiele auf dem Rücken. Angefangen mit einfachen Sportplätzen pachtete man im Februar 1908 zum ersten Mal das heutige Trainingsgelände Tivoli, gelegen an der Krefelderstraße. Das Terrain war von der Stadt gekauft und mit den Zahlungen der Alemannia an jene begonnen deren erste Umbauarbeiten. Es ging schleppend voran, bis man im Jahre 1928 den Tivoli erstmals als Stadion betiteln durfte. 
Ganzer Stolz der Schwarz-Gelben war die überdachte Sitztribüne, deren Entwurf erstmals Mitte der 50er Jahre aufgetaucht war, weitere 10 Jahre später dann in die Tat umgesetzt wurde. 
In dieser Zeit feierte die Alemannia erstmals den Aufstieg in die höchste Spielklasse Deutschlands. Als erster der Regionalliga West (der damaligen ‘2. Liga’) stieg die Alemannia in der Saison 66/67 in die Bundesliga auf, 3 Spielzeiten später fand man sich jedoch wieder im Tabellenkeller dieser wieder, nachdem man in der Saison zuvor noch Vizemeister geworden war, und stieg 1970 als Tabellenletzter wieder ab. 
Durchwachsene Zeiten der Alemannia läuteten ein. Man qualifizierte sich für die zweite Bundesliga, die bis 1981 in Nord und Süd geteilt war, bis man nach nicht einmal 10 Jahren diese auch wieder Verlassen musste. Diesmal führte der Weg der Alemannia doch in entgegengesetzte Richtung. Oberliga Nordrrhein/Regionalliga West/Südwest - das war die Liga, in der die Alemannia spielte, bis man 1999 unter der Leitung Werner Fuchs den Aufstieg in die zweite Liga schaffte. Das Erinnerungsvermögen vieler reicht noch bis zu jenem Tag, an dem im letzten Meisterschaftsspiel der Saison 98/99 der Wiederaufstieg besiegelt wurde. 
Nach diesem Ereignis spielte man auf dem Tivoli also endlich wieder hochklassig. Und auch in der Neuzeit war es nicht das letzte Mal, dass der alte Kasten einen Aufstieg mit zu erleben hatte. Wie vielen noch gänzlich vor Augen feierte man im Jahr 2006 den erneuten Aufstieg in die erste Fußballbundesliga. Knappe drei Jahre nach dem Erreichen des DFB-Pokal-Finales (2004) stieg man nur eine Saison nach dem Aufstieg wieder in die Zweite Bundesliga ab. 
Der Tivoli hatte in seinen Jahren also wirklich so manch ein Fest gefeiert und so manche Tränen der Schwarz-Gelben-Anhänger zu verkraften gehabt. Beide Ereignisse kreuzten sich, als man in der Saison 2008/2009 den Abschied des Kultkastens feierte. Der FC Augsburg gastierte am 24.Mai 2009, als die Alemannia auf dem alten Tivoli zur letzten Bundesligapartie rief und ging nach 90 Minuten mit einem deutlichen 4:0 als Sieger vom Platz. Ein würdiger Abschied wurde dem ‘alten Kasten’ zuteil, als man während der Sommerpause Werder Bremen für ein Freundschaftsspiel an den Tivoli zitierte. Im Rahmen des Spieles stieg an alter Wirkungsstätte eine riesige Abschiedsfeier, Alemannia gewann mit 3:2 gegen den Bundesligisten und eröffnete das neue Stadion knapp einen Monat später mit der ersten Zweitligapartie der Saison 2009/2010. 

Nachdem man am alten Tivoli die letzten Segel eingefahren hatte, nutzte man ihn fortführend als Spielstätte der Zweiten Mannschaft der Alemannia - zu besonderen Anlässen (beispielsweise im Winter, wenn auf den Trainingsplätzen der Profis Schneemassen nicht mehr zu überblicken waren) trainierte auch die erste Mannschaft auf dem Rasen der Kultstätte. All das hat jetzt ein Ende. Die Stadt gab bekannt, dass zum ersten Juni die Abrissarbeiten des alten Tivolis beginnen werden. Die ersten Bagger sind schon angerückt. 
Am vergangenen Samstag rollte zum letzten Mal ein Ball in der alten Hütte. Die Amateure der Alemannia riefen zum letzten Heimspiel ihrer Saison. Gingen nach 90 Minuten verdient mit 3:1 vom Platz. 
 Zahlreiche Alemannenfans hatte es an diesem Tag an den alten Tivoli getrieben. Im Anschluss an die Partie der NRW Liga folgte ein Freundschaftskick einer Fanauswahl gegen die Traditionself der Alemannia, die Namen wie Jupp Martinelli, Jo Montanes oder Günter Delzepich im Kader aufwies. Das Ergebnis (13:1) war am Ende nebensächlich. Die Alemannia plante den Abend friedlich ausklingen zu lassen und am letzten Spieltag gegen Arminia Bielfeld am kommenden Sonntag eine Saisonabschlussfeier auf dem alten Rasen zu veranstalten. Doch nicht alle Fans nahmen das Spiel am vergangen Samstag zum Anlass, sich würdig von der alten Spielstätte zu verabschieden. Nach der Partie der Amateure stürmten Fans den Platz, zündeten Feuerwerkskörper und randalierten, rissen beispielsweise Sitzschalen von der überdachten Tribüne und sicherten sich ihre Andenken an den Kultkasten. Dies hat nun zu Folge, dass die geplante Abschlussfeier nicht im alten Aachener Tivoli statt finden wird. Seit Wochen ist die Alemannia nun schon dabei, alte Erinnerungsstücke aus dem alten Zuhause zu sichern, um sie nachher für einen guten Zweck zu versteigern oder sie auszustellen. Weil die Randalierer dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, ist die Absage eine logische Schlussfolgerung. 

Im Nachhinein ist es schade, dass die Ära Tivoli ein solches Ende findet. Nach 83 Jahren, in denen der Tivoli nun besteht, hat man so manche Dinge gefunden, auf die man gerne zurück blickt. Ein Ereignis der letzten Woche fällt nicht in ein solches Register. 
Dennoch blickt man mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die alte Spielstätte zurück. 83 Jahre Tivoli. Das ist nicht nur Magenkribbeln, wenn man auf dem Würselner-Wall stand und, weil es um den Tivoli immer düsterer würde, das Flutlicht auf einen hinabstrahlte. Das sind nicht nur Erinnerungen an Bayern, Mönchengladbach und FC Köln. Das sind Impressionen, Kindheitserinnerungen, Momente und Gefühle. Alter Tivoli - das war eine lange Zeit die legendäre Heimat der Alemannia. Jetzt winkt die berühmte Kultstätte ab.

1 Kommentare »

  • Anonym said:  

    Schöner, berührender Beitrag zum Ende des Tivoli's :)